KATA UND KAMPF

von Sifu Pascal Czekala

 

Bei der Ausführung einer Kata sollte viel Wert darauf liegen, dass Sie „gekämpft“ und nicht nur „gelaufen“ wird. Dadurch erst wird eine Kata lebendig. Sonst hat man nur eine leere Hülle, gute Techniken vielleicht, doch da kommt halt nix rüber. Das Herz/Tigerauge muss mit rein, im Kwoon Do besonders ab dem Blaugurtlevel. Man muss die Form mit (seinem) Leben füllen!

Zum Sinn einer Kata: „Eine Form FORMT“ und basta! Nur was ich übe, mache ich (vielleicht) auch im Ernstkampf.


„So wie du trainierst, so wirst du kämpfen“, ist ja ein beliebter Spruch in Kampfkunst-Kreisen und auf Englisch nennt man Formen ja auch ROUTINES! Deshalb stimmt ja auch der Satz im Kwoon Do-Pass: „Kata sind der wesentliche Teil des Trainings“, allerdings muss man zugeben, sie werden zu oft vernachlässigt im Training angesichts ihrer wahren Bedeutung, aber das hat ja viele Gründe.

Was ist noch wesentlich bei der Kata?


Dass man auf sich selbst gestellt ist und zwar in zweifacher Hinsicht: Einmal konkret physisch, d.h. man darf seine Stabilität/Erdung nicht verlieren, dass würde im Ernstkampf immer irgendwelche fatalen Konsequenzen nach sich ziehen (man wird geworfen, Verlust der Schlagkraft etc.). So lernt man also in der Form „in der eigenen Mitte“ zu bleiben. Im Tai Chi nennt man das doch so schön den „Kugelmenschen“ verwirklichen: also meine Aura/Aktionsfeld genau kennen zu lernen und auch nutzen zu lernen, dazu dient ja auch das push hands Training. Als Beispiel: Wenn ich einen Tritt voll durchziehe und er geht am Ziel vorbei (weil der Gegner ausgewichen ist) fliege ich hinterher. In der Kata lerne ich also, trotz fast max. Kraftentfaltung immer noch die Restkontrolle zu behalten, denn anderenfalls würde ich in der Kata hinfliegen etc.


In psychischer Hinsicht bin ich auch auf mich allein gestellt, ich muss an mich glauben („Um zu siegen brauchen wir nicht nur starke Arme und Beine, sondern den Glauben.“), z.B. eine Form im Park laufen auch wenn man dabei vielleicht „blöd“ angemacht wird. Sieht halt „uncool“ aus für die heutige Generation...


Und in viel wichtigerer Hinsicht lerne ich in der Form sozusagen „stur“ mein Ding durchzuziehen ohne irgendwelche Beeinflussung von außen (ist ja kein konkreter Gegner da, indirekt jedoch schon, da ja Kombinationen geübt werden, die natürlich auf Gegenreaktionen des Gegners aufbauen). Und das ist ja elementar in der Kampfkunst: Ich muss MEIN Ding durchziehen (den Sachen denen ich vertraue und die ich hoffentlich gut geübt habe) ohne mich vom anderen beeinflussen zu lassen! Niemals werde ich alle möglichen Kampftechniken/Stile beherrschen können, das ist auch gar nicht nötig, aber die, die ich gelernt habe muss ich ganz und gar durchziehen (= Da Mang, 10. Prinzip Kwoon Do), ohne zu zögern!


Die entscheidende Frage ist doch: Welcher Technik würde ich mein Leben anvertrauen?

Ist doch wie im Ernstkampf: Solange ich keinen Druck/Treffer abkriege kann ich alles machen in der Regel, die entscheidende Frage ist aber: was passiert nach dem ersten eingesteckten Treffer: übermannt einen der Schmerz/das Ego etc. oder macht man einfach weiter, denn zwischen Treffer und Wirkungstreffer besteht ja ein himmelweiter Unterschied!

Und das trennt doch auch die Spreu vom Weizen: Die meisten machen sofort zu, sobald sie Treffer kassieren (nach dem Motto erst schlucken, dann Doppeldeckung). Den guten Kämpfer zeichnet aus, dass er weitermacht! Mein Sanshou Trainer sagte immer: „Wenn Du nicht mehr kannst, machst du halt langsam weiter – aber aufhören gibt es nicht!“

Boxersprichwort: „Wer im Ring steht, verliert!“

Nichts machen heißt immer verlieren und damit wird der Kampf sinnlos, denn zum Verlieren hätte ich gar nicht kämpfen brauchen – da reicht kneifen! Wenn man aber kämpft (aus welchen Gründen auch immer), muss man gewinnen. Alles andere hat keinen Sinn! Also zusammengefasst: Man bekommt im Ernstkampf immer einen ab, die entscheidende Frage ist dann ähnlich wie bei der Braungurtprüfung im Kwoon Do: bleib ich liegen (Boxersprichwort: „Nur der Gegner der aufgibt, ist besiegt!“), oder mach ich weiter und genau diesen unbändigen (Sieges-)Willen kann ich auch durch das „sture“ Üben der Kata festigen.

Während einer Form gibt es doch oft Momente wo man sich über eine Bewegung ärgert, weil sie nicht so war wie man es sich vorgestellt hatte (im Ernstkampf entspricht das dem Moment, wo der Gegner eine Aktion von mir vereitelt) und gerade dann ist es wichtig loszulassen und weiterzumachen und nicht zu stoppen oder weiterzugrübeln – es gibt nur den Augenblick! Und genau deswegen ist für mich ein „Hängenbleiben“ in der Kata der Tod für den Prüfling, so was darf es nicht geben! Oder wie die Chirurgen sagen: „Dies und das kann, aber darf nicht passieren.“


Warum das „sture“ Festhalten an der äußeren Form? Da hilft der Vergleich mit dem Erlernen des Schreibens: auch dort wird zu Beginn extreme Sorgfalt auf das leserliche Schreibbild gelegt – warum? Schließlich weiß ja jeder, wie die Schrift nach ein paar Jahren bei jedem aussieht (nämlich unleserlich, aber individuell!), also könnte man sich doch den Umweg sparen und gleich mit der „richtigen“ individuellen Schrift anfangen oder? Kling doch logisch? Aber es ist doch so: Man muss am Anfang so übertrieben „schön“ schreiben, damit nach Jahren überhaupt noch was halbwegs Leserliches übrig bleibt. Würde man mit der „Erwachsenenschrift“ beginnen, bliebe am Ende nix mehr übrig, nur „reine Individualität“.


Und wie verhält es sich damit im Ernstkampf: Unter Stress (bzw. Todesangst) sind nur noch eine beschränkte Anzahl an Bewegungen möglich und auch nur mit einer gewissen Exaktheit, deshalb klappen im Sparring ja auch nur noch so wenige Sachen. Nun gehen einige Stile den Weg und machen genau den Fehler des Schreibenlernens: Warum den ganzen sinnlosen Ballast üben, wenn man doch schon weiß, dass schließlich nur noch die gute alte „Jab-Punch-Kick“-Kombination übrig bleibt. Also üben wir lieber diese von Anfang an bis zum Abwinken und das sieht man ja auch momentan am Niveau der Profis.


Nun gibt es aber mindestens zwei Herangehensweisen an die Situation der „Todesangst“:


Der herkömmliche, am weitesten verbreitete, ich nenne ihn mal „äußerer“ (weil der physische Körper in erster Linie konditioniert wird) Weg: Da man weiß, dass man unter dem Kampfstress nur noch wenige, einfache Bewegungen hinbekommt übt man im Training natürlich nur noch solche Bewegungen. Als Beispiel sollen alle Vollkontakt-Kampfsportarten dienen. Also man nimmt die natürliche Reaktion des Körpers (fight or flight Situation) auf Stress als „gegeben/unveränderlich“ hin und passt sich technisch gesehen an (einfache, wenige Bewegungen mit hoher Kraftentfaltung). Daher führt diese Art des Trainings auch oft dazu, dass die Schüler aggressiver werden, da man ja die aggressive Grundstimmung braucht, um sich in ihr zurechtzufinden und zu lernen mit ihr umzugehen (Gewöhnungseffekt).


Die andere Methode nenne ich mal die „innere“, da sie genau den anderen Weg beschreitet: Man arbeitet bewusst an der „fight or flight“ Reaktion und versucht diese zu verändern, d.h. wenn ich es schaffe meinen Geist in unerschütterlicher Ruhe trotz „Kampfstress bis hin zur Todesangst“ zu halten, dann kann der Körper auch viel komplexere Methoden/Aktionen vollbringen, da die Einschränkungen auf die Feinmotorik etc. durch das Adrenalin etc. ja nicht da sind! Und das ist die Methodik des Tai Chi Chuan zum Beispiel, deshalb sind in solchen Stilen auch die begleitenden Meditationsübungen etc. so wichtig, ohne sie wären alle anderen „äußeren“ Übungen sinnlos (was man ja heute auch täglich sieht), denn all diese Bewegungen setzen als Grundvoraussetzung ja gerade die oben beschriebene Geisteshaltung voraus!


Als Bild für diese beiden Methoden passt gut die Aussage: “Im Stierkampf gewinnen selten die Stiere.“


Zur Dauer/Länge der Formen:


Chinesische Formen (besonders Tai Chi Formen) sind „lange“, Dauer für einen Ablauf bis zu 30 Minuten und entspricht damit genau der empfohlenen täglichen Dauer für Leibesübungen um sich gesund (nicht fit!) zu halten (laut den Empfehlungen der Ärzte etc.). Wenn man also die Form einmal täglich übt, hat man sportphysiologisch genug für den Tag getan im präventiven Sinne.


Dies passt auch gut zu der Aussage: „Formen sind die Übungsform der Meister.“ Es ist nämlich alles drin enthalten, was die Kampfkunst ausmacht und das in komprimierter Form. In den 30 Minuten habe ich mein gesamtes „Programm“ abgearbeitet. Der normale Sportler würde dreimal die Woche Laufen, dann zusätzlich dreimal Krafttraining machen, außerdem täglich Stretching und Dehnung und natürlich sein Techniktraining – das alles aber ist in der Form schon drin!

Als Meister brauche ich nicht solch ein komplexes Übungsprogramm (abgesehen, dass ich dazu sowieso gar keine Zeit hätte als berufstätiger Mensch mit Familie), es reicht völlig jeden Tag seine Formen zu üben (mit verschiedenen Schwerpunkten natürlich).

Wie Bruce Lee sagte: „Ein tägliches weniger.“ Damit ist doch auch gerade die Form gemeint! (Ich weiß Bruce Lee hielt nix von Formen).

Außerdem passt noch folgender Spruch: „Formentraining ist wie Medizin: sie hilft nur, wenn man sie regelmäßig nimmt.“

Andererseits weiß ja die Neurowissenschaft auch davon, das gewisse hirnbiologische „switches“ auch erst nach frühestens 30 Minuten (z.B. bei der Zazen Meditation) einsetzen (als Vergleich: egal wie heiß die Flamme ist, auch Wasser braucht erst eine gewisse Zeit bis es anfängt zu Kochen oder aus dem Sport: beim Langstreckenläufer dauert es auch eine gewisse Zeit bis die Glykogenvorräte erschöpft sind und der Körper auf die Fettverbrennung umsteigen muss) und das diese klassische Zeitdauer schon ihre Gründe hat. Darin liegt auch begründet, warum die Traditionalisten Recht haben mit der Behauptung es gibt kein „5 Minuten Zazen“ bzw. die Tai Chi Kurzformen hätten keinen Sinn.

Sogenannte „kurze“ Formen vermitteln eher Grundkonzepte/Prinzipien als „reale“ Kampftechniken. Außerdem entsprechen „richtige“ kurze Kata (nicht die Anfänger/Einsteigerformen) die wirklich notwendige Grundkondition für den Ernstkampf: Sifu Meijers nannte das „Explosivkraft“.

Der Ernstkampf dauert ja auch nicht wie ein Profi-Boxkampf 12 Runden, sondern sollte nach 10-30 Sekunden entschieden sein und genau das entspricht der Dauer der „normalen“ Formen. Im Ernstkampf geht es ja vielmehr um Schnellkraft bzw. kurzzeitige Maximalleistung – im Grunde geht es ja um Mobilisierung der 10-20%, an die man beim normalen Training nicht herankommt (die sogenannten autonomen Reserven, die nur im Überlebenskampf mobilisiert werden und zwar unbewusst). An diese Reserven bewusst heranzukommen ist ja auch ein Ziel des Kampfkunsttrainings.

Als Ergänzung zur Thematik der Kata fiele mir noch folgender Gedanke ein: In der KATA lernt man auch "richtig" kämpfen für den Ernstkampf!

Wieso?

Weil man nur in der Kata alle Techniken im Zusammenhang/Fluss mit voller Kraft/Konsequenz durchziehen kann. Selbst mit entsprechender Schutzausrüstung kann man ja viele Techniken "am Mann" nur andeuten mit der Folge, dass die Folgetechnik durch den nun fehlenden "flow" wirkungslos bleibt! Diese Sache vergessen all jene, die meinen, nur durch Sparring lerne man "richtig" kämpfen - ist aber auf der anderen Seite vielleicht auch gut so!

Zur Gesundheitswirkung der Kata:

Allein der Platzbedarf der meisten Formen "zwingt" einen ja förmlich dazu nach draußen in die freie Natur (sofern es diese noch gibt) zu gehen (denke dieser Aspekt ist gerade in China/Japan wichtig, wo viele Menschen auf engstem Raum leben - einmal am Tag "frische Luft schnappen").

So werden in China Formen geübt!   (Beijing, China, Juni 2008)


Ergänzend hierzu eine Definition aus dem Budo-Wiki:

Der Begriff kata (形 oder 型) bedeutet „Form“, „Modell“ oder „Gestalt“. Die kata bezeichnet zunächst eine festgelegte Übungsmethode zum Einstudieren des Sieges gegen Angreifer. Das technische Konzept setzt sich aus Bewegungen zusammen, die zur Abwehr gegnerischer Angriffe und zum Konter verwendet werden. Doch in den ostasiatischen Kampfkünsten ist die kata mehr als nur ein technisches Konzept und erfordert ein intensives Studium (bunkai) in Theorie und Praxis.