KWOON DO PHILOSOPHIE

von Shi Zu Rainer Franzolet

 

Gedanken zur Selbstverteidigung durch Kwoon Do

 

Kwoon Do ist für mich weder Kampfsport noch Akrobatik. Mein Ansatz ist eine friedliche, zentrierte Haltung. Dies als Grundlage, um mich der Wahrnehmung zu widmen. Durch eine zunehmend feine und aufmerksame Wahrnehmung lerne ich, auf kritische Situationen frühzeitig und angemessen zu reagieren. Diese angemessene Reaktion beruht auf einer nicht eskalierenden Grundhaltung, ebenso wie auf der Bereitschaft, sich klar und deutlich zu verhalten. Ich verteidige mich, ohne mich in die Heftigkeit eines Angriffs verwickeln zu lassen. Kwoon Do führt zu einer Form von "Stärke", die nicht von Muskelkraft, Größe oder gar vom Geschlecht abhängig ist. Ihr Idealzustand ist geprägt von Ruhe und Gelassenheit. Die Übung in dieser Kunst bietet uns einen Weg, unsere Persönlichkeit zu entfalten und zu harmonisieren.

 

 

Im Kwoon

 

Die Atmosphäre in meinen Unterrichtsstunden ist durch Ruhe und Achtsamkeit geprägt. Der Begriff Kwoon kommt somit seiner ursprünglichen Bedeutung als "Ort der Ruhe und Meditation" sehr nahe. Diese Atmosphäre ermöglicht es mir, ausgewogen an der mentalen, seelischen und körperlichen Seite des Kwoon Do zu arbeiten. Insbesondere durch die Achtsamkeit im Umgang miteinander halten wir das Verletzungsrisiko sehr gering. Erfahrungsgemäß können auch Menschen mit Gelenk- oder Haltungsschäden in meinen Stunden üben.

 

Unter einem geduldigen Training erleben sie oft einen Rückgang ihrer Beschwerden. "Ältere" und "Jüngere" lade ich ein, gemeinsam zu üben. Frauen und Männer jeden Alters und aus jedem kulturellen Hintergrund sind willkommen. Weder Erfahrungen mit anderen Kampfkünsten noch Sportlichkeit noch Kenntnisse von Yoga oder Meditationstechniken sind Voraussetzung. Die körperliche Beweglichkeit und Bewußtheit wächst mit zunehmender Übung des Kwoon Do. Kwoon Do bietet so einen idealen Raum, um an vielen Aspekten des menschlichen Lebens zu arbeiten: Haltung, Bewegung, zwischenmenschlicher Kontakt, Ruhe und Gelassenheit, Geduld, Selbstsicherheit, Gesundheit, um nur einige Themen zu nennen. Das langsame Üben erleichtert auch das Nachmachen. Diese Übungsweise fördert die Geduld und den Respekt unter den Übenden. Die Basis, die sich in der Langsamkeit entwickelt, sitzt erfahrungsgemäß sehr tief.

 

 

Übernatürliches

 

Das Sprechen von und der Glaube an Übernatürliches und dergleichen tragen dazu bei, dass die Übenden sich mehr und mehr in Mysterien und Abstraktionen verlieren. So wie gegilbte Blätter für Goldmünzen ausgegeben werden um weinende Kinder abzulenken, genauso beeindrucken die so genannten geheimen Kräfte den unwissenden Kampfkunstschüler. An Kwoon Do ist nichts Geheimnisvolles. Nimm die Dinge einfach, wie sie sind. Schlage, wenn du schlagen muss, tritt, wenn du treten musst. Passe dich der Situation an. Sei einverstanden.

 

 

Selbstvertrauen

 

Die Menschen haben meist mehr Vertrauen in die Dinge, die sie nachahmen, als in die Dinge, die sie selbst schaffen. Von Dingen, die ihre Wurzeln in uns selbst haben, können wir für uns kein Gefühl der absoluten Gewissheit ableiten. Das stärkste Gefühl von Unsicherheit wird durch das Alleinsein verursacht. Wenn wir jedoch nachahmen, fühlen wir uns nicht mehr allein. So ist es mit den meisten von uns, wir sind das, was andere von uns sagen. Wir kennen uns selbst sozusagen hauptsächlich nur vom Hörensagen.

 

Es ist bemerkenswert, dass genau diejenigen, die am meisten mit sich selbst unzufrieden sind, die am stärksten nach einer neuen Identität suchen, auch das wenigste Selbstbewusstsein haben. Furcht kommt von Ungewissheit. Wenn wir uns über unseren eigene Wert oder die eigene Wertlosigkeit absolut sicher sind, so findet die Furcht so gut wie keinen Zugang. So kann ein Gefühl von äußerster Wertlosigkeit zu einer Quelle für Mut werden. Alles scheint möglich, wenn wir absolut hilflos oder absolut mächtig sind - und beide Zustände regen unsere Leichtgläubigkeit an...

 

Verheimlichung kann eine Ursache für Stolz sein. Es ist paradox, dass Verheimlichung die gleiche Rolle spielt wie Prahlerei. Beide schaffen falsche Vorstellungen. Durch Prahlerei wird die Schaffung eines imaginären Selbst versucht, während Verheimlichung uns das erheiternde Gefühl vermittelt, dass wir Prinzen unter dem Mantel der Bescheidenheit sind. Von diesen beiden Dingen ist die Verheimlichung schwieriger und wirkungsvoller. Für jemanden, der sich selbst beobachtet, beinhaltet die Prahlerei Selbstverachtung. Es ist so, wie schon Spinoza sagte: "Nichts fällt dem Menschen schwerer als das Zügeln seiner Zunge. Er kann seine Wünsche besser mäßigen als seine Worte."